Lieber Konstantin Bayer, liebe Bianka Voigt, lieber Stefan Böhm, lieber Stephan Dill, liebe Gäste,
die Galerie Eigenheim ist bestückt mit
Steinskulpturen von Stefan Böhm - auf Stephan Dills Arbeiten an der Wand
werde ich im Kontext auch zu sprechen kommen, da Ken Yamamoto ja
verhindert ist.
Wir sehen Steinskulpturen verschiedener Farben und
Formen - sprich verschiedener Materialien und deren Bearbeitung. Wenn
man die Werke eine Weile betrachtet hat, wird sich die Frage stellen,
wie die einzelnen Formen zustande kommen. Das fragt man sich meistens,
wenn evident ist, daß keine figürliche Idee im Hintergrund des
Schaffensprozesses stand. Das ist bei Stefan Böhm offenkundig nicht der
Fall, nicht einmal als Abstraktion einer Figur. Er schafft die reine
Form.
Aber irgendein Erkenntnisinteresse muß dieses
Formschaffen ja antreiben. Ein Bildhauer sägt ja nicht einfach drauf
los. Tatsächlich speist sich der Formwille Stefan Böhms in diesem Fall
immer aus dem Material. Jede Gesteinsart gibt ihm von vorneherein die
Richtung vor, in der sie zu bearbeiten ist. Denn Stefan Böhm will aus
seinen Gesteinsblöcken nicht irgend etwas anderes machen, was dem Stein
selber äußerlich wäre. Er will dem Stein keine Form aufdrücken. Sondern
er will das Gestein zur Geltung bringen, in all der Schönheit, die es
birgt.
Verglichen mit anderen Künstlern, geht Stefan Böhm
im Schaffensprozeß also einen umgekehrten Weg. Nicht die Formidee steht
am Anfang und der Künstler würde das Material suchen, in dem er seiner
Idee am wirkungsvollsten Ausdruck verleihen kann. Sondern der Stein
steht am Anfang und Stefan Böhm arbeitet die Form heraus, die den Stein
am besten zu sich selber bringt.
Das hat zur Folge, daß wir uns hier glänzend
poliertem Diabas gegenüber sehen. Die im Wortsinne Strahlkraft dieser
Kunstwerke kann so überwältigend sein, daß die Gegenwart dieser
Skulpturen manchen Atelierbesuchern nach einiger Zeit unheimlich wird
und ein undefinierbares Gefühl in ihnen aufsteigt, das eine Art
Fluchtreflex auslöst. Man flieht vor der Wucht der Existenz dieser so
substantiell zu sich selbst gekommenen Steine.
Die strahlend schwarzen Seiten dieser Kunstwerke
hebt Stefan Böhm noch hervor, indem er ihnen aufgerauhte Flächen
benachbart - Flächen, oder vielleicht besser gesagt Vertiefungen,
Ausstülpungen, 'Nasen', Erhebungen, jedenfalls eigentlich
Nicht-Flächiges.
Diese angerauhten Teile unterbrechen die glänzend
polierten Seiten und zeigen das Bild des Steines, wie der Künstler ihn
in der Natur aufspürt. Zum Teil für Exponate wirklich gefunden hat, zum
Teil in Gegenden sucht, wo er bestimmte Steine beheimatet weiß, zum Teil
in Steinbrüchen als Brocken kauft und abholt. Im Außenraum um Stefan
Böhms Atelier liegen etliche Brocken bemooster und erdverkrusteter
Steine, unter denen wohl niemand von uns - außer dem Künstler - die
Schätze vermuten würde, die Stefan Böhms Arbeit als Bildhauer darin
zutage fördert.
Die Kontrastierung polierter mit aufgerauhten
Flächen bringt natürlich mit sich, daß Stefan Böhms Skulpturen immer
auch schon ohne künstlerischen Partner in Dialog treten, nämlich in
Dialog mit sich selber. Das "Spannungsfeld zwischen Fläche und Raum"
schreiten die Steine gewissenmaßen immer auch schon alleine aus.
Flächigkeit und Tiefenwirkung lotet Stefan Böhm in jeder Arbeit aus.
Hinzu kommen die neuerdings die Fotografien der skulpturalen
Entstehungsprozesse, die Stefan Böhm unlängst in der Kunsthalle Arnstadt
mit präsentiert hat. Durch Ausschnittfotografien seiner Arbeiten werden
Perspektiven sichtbar, die beim Umrunden der Skulptur verborgen bleiben
können. Es werden Ansichten in Szene gesetzt, die eine Steuerbarkeit
des Lichteinfalls zur Voraussetzung haben. Diese Steuerbarkeit
ermöglicht die Fotografie. Die Fenster einer Ausstellungsfläche aber
nicht im selben Maße. Es werden durch die Fotografie dann auch Formen
isolierbar, die im Kontext der Steinskulptur schlicht nicht wahrnehmbar
sind. Die Werkfotografien erlauben es Stefan Böhm in besonderem Maße,
seine Skulpturen in einen selbstreflexiven Dialog der Formen
untereinander treten zu lassen. Er steuert so die Wahrnehmung der
Skulpturendetails und bereichert die Rezeption seiner Werke, die auch in
einem Umschreiten der Exponate notwendigerweise immer eingeschränkt
bleiben muß.
Nun treten die Skulpturen Stefan Böhms heute aber
zusätzlich in einen Dialog mit der Malerei von Stephan Dill. Das
Selbstgespräch der Steine wird zum Flüstern und sie schauen neugierig
auf ihr fremdes Gegenüber. Und die Steine wissen, sie müssen schnell
sein. In einer Galerie haben sie nicht, wie nach einem Erdrutsch,
hunderttausend Jahre Zeit, um sich in Ruhe in ihrer neuen Umgebung
zurechtzufinden.
Die Exponate sind von den drei Profis denn auch sehr
freundlich aufeinander abgestimmt worden. Ganz wunderbar
korrespondieren die strahlenden Doleritskulpturen mit den feuerroten
Malereien Stephan Dills. Wie Balsam für die Augen sind die zarten
Rosé-und Grautöne auf den matten Kalkstein abgestimmt. Und weit öffnet
der nebelverhangene Krater aus blauem Bergkristall einen Raum für das
schneeweiße Werk aus Marmor.
Die polierten Flächen der Skulpturen fügen sich
optisch nahtlos in die Schichten der Bildräume von Stephan Dills
Malerei. Denn ja - die Skulpturen treffen hier auf ein Gegenüber, das
sich seinerseits auf das Ausloten von Fläche und dreidimensionaler
Struktur im Bildraum versteht. Auch die Malerei Stephan Dills holt Tiefe
in die Fläche hinein - sei es als illusionärer Raum geborstener
Verhüllungen, verschlungener Lianen oder hervorquellenden Schläuche, sei
es als reale Struktur abgehobener Farbschichten und rekonstruierter
Vorzustände. Kompliziert wie die Schöpfung ist diese Malerei und das
gefällt den Skulpturen. Damit können sie umgehen.
Ich habe bisher die Kalksteine nur en passant
erwähnt, muß aber jetzt noch einmal näher darauf eingehen. Denn in
dieser Ausstellung ist eine Besonderheit zu sehen, auf die ich bisher
nicht aufmerksam machen konnte. Etwas ist neu. Es ist der Knotenkalk mit
seinen korallenfarbenen Einschlüssen.
Sie haben bereits gemerkt, daß der Kalkstein nicht
ganz so wie die Basalte auf Glanz und Politur hin bearbeitet ist. Das
wäre auch vergebliche Liebesmüh, denn Kalkstein ist weniger dicht,
zeitigt dafür aber Lufteinschlüsse von zerfallenen Materialien. Er
schließt Fossile und Pflanzen ein. Und da, wie gesagt, das Ziel der
Arbeit von Stefan Böhm ist, das Wesen jedes Gesteinsbrockens sichtbar zu
machen, versucht der Künstler, in Kalkstein und Travertin die
vorteilhaftesten und interessantesten Ansichten solcher Einschlüsse
freizulegen. Die Werke aus Kalkstein stellen bei Stefan Böhm immer die
Flecken und Höhlungen des Gesteins aus. Manchmal kann auch eine
versteinerte Pflanze freigelegt werden. Solche Entdeckungen markieren
für den Künstler dann den Abschluß seiner Arbeit. Die Form selber gibt
ihre Vollendung bekannt.
Heute in die Galerie Eigenheim hat Stefan Böhm einen
Stein mitgebracht, der diese Vollendung kürzlich erst erreicht hat, es
ist ein ganz neues Werk: Tepui. Der Kalkstein zeigt hier eisenhaltige
Einschlüsse, die sich auf der Oberfläche in korallenfarbenen Punkten zu
erkennen geben. Die gesamte Skulptur ist ausschließlich von Hand
geschliffen - das sind hier einige. Die Werkzeugspuren, mit denen Stefan
Böhm die grobe Struktur des Hochplateaus herausgearbeitet hat, sind und
bleiben sichtbar. Es sind die weißen Linien, die die obere Seite der
Skulptur durchziehen.
Mich haben diese gewundenen Ellipsen an die
Höhenlinien einer topographischen Karte erinnert. Natürlich markieren
sie im Werk Stefan Böhms keine gleichen Höhen, sondern wandern
ihrerseits aufwärts und abwärts. Aber die Assoziation ist schon sehr
mächtig. Und der Künstler läßt sie zu. Die Skulptur zeigt wie keine
andere, daß ein Stein bei Stefan Böhm immer das ganze Gebirge
repräsentiert. Im Teil ist für ihn das Ganze immer wesenhaft enthalten.
Der kleine Brocken ist immer wesenhaft der ganze Fels.
In einigen verdichteten Zeilen hat Stefan Böhm im
vergangenen Jahr einmal selber den fließenden Übergang von innerem Wesen
in äußere Form in Worte gefaßt. "Die Form ist eine treibende Kraft"
hieß es da und gab vor genau einem Jahr auch einer Ausstellung ihren
programmatischen Titel. "Die Form ist Stille", ging es weiter, "die
Stille ist Kraft;/ die Kraft ist der Geist;/ der Geist ist die Geburt
der Form." Hier ist das Zirkuläre beschrieben, das den ewigen Kreislauf
des Werdens ausmacht. Die Form steht dabei am Anfang und am Ende und
wird vom Künstler mit den Begriffen von Stille, Kraft und Geist als die
Energie beschrieben, die unerläßlich ist, um den Prozeß einer Schöpfung
in Gang zu setzen. Die Energie entäußert sich in der Form, die Form
speichert das Wesen der Dinge.
Es sind solche philosophischen Überlegungen, die
Stefan Böhm seit langem auch schon zur Beschäftigung mit
mikrophysikalischen Vorgängen treibt. Verschränkung ist ein Werk, das in
diesem Kontext entstanden ist. Weitere Werke hier in der Galerie
verdanken sich diesem Wissenshorizont um die
Wahrscheinlichkeitsaufenthaltsräume der kleinsten Teilchen, die
Tunneleffekte und spukhaften Fernwirkungen, die Quanten durchlaufen und
bewirken können. Auch in diesem Punkt haben sich beide Künstler, Stefan
Böhm und Stephan Dill, auf Anhieb verstanden. Die Beobachtung, daß Zeit
und Raum korrespondieren, daß die aufgewendete Zeit beispielsweise im
Kunstwerk gespeichert bleibt, daß die Energie künstlerischer Aktionen
den Raum füllt, auch wenn sie in der Materialität des Kunstwerks bereits
Gestalt angenommen hat und gebunden ist, daß Farben und Formen Energien
speichern, die aggressiv machen oder beruhigen können, daß Fläche und
Raum sich in der Wirkung ergänzen und unersetzbar füreinander sind - das
sind die Fragen, die den Dialog der Künstler in ihren Werken ab heute
bestimmen werden; den Dialog im "Spannungsfeld zwischen Fläche und
Raum".
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Dr. Cornelie Becker-Lamers, Weimar