Ob Eigenkapitaldecke, Cash Cow, Proof-of-Work-Protokoll oder eben Absolute Advantage – die Finanzwelt bedient sich eines spezifischen und oft schwer zugänglichen Fachjargons. Ungeachtet der fragwürdigen Moralvorstellungen des freien Marktes und der Tatsache, dass unbegrenztes Wachstum zwangsläufig an Grenzen stößt, wird es immer schwieriger zu erkennen, wie die globale Wirtschaft tatsächlich funktioniert und welche Regeln sie bestimmen.
Die Ausstellung Absolute (dis)advantage – Technical terms from the global economy nimmt das komplexe globale Wirtschaftsgeschehen unter die Lupe und hinterfragt die oft widersprüchlichen Dynamiken, die unseren Alltag darin zunehmend prägen. Im Zentrum steht dabei ein wirtschaftswissenschaftlicher Begriff: Absolute Advantage – der „absolute Vorteil“. Dieses Konzept erklärt, warum es sinnvoll ist, wenn sich Länder auf das spezialisieren, was sie besonders gut und effizient herstellen können. Durch den Austausch dieser Güter profitieren am Ende alle Beteiligten vom internationalen Handel. Doch was passiert, wenn dieses Gleichgewicht gestört ist – wenn der eine dauerhaft im Vorteil bleibt und der andere nur scheinbar teilhat? Hier setzt das ironisch gebrochene disadvantage im Ausstellungstitel an: Es verweist auf systemische Ungleichheiten, Ausbeutungsverhältnisse und Abhängigkeiten, die in der Realität häufig die wirtschaftliche Zusammenarbeit bestimmen. Globale Märkte erscheinen zunehmend als Wettkampf, in dem der Gewinn des einen allzu oft den Verlust des anderen bedingt.
Die Ausstellung verhandelt diese Ambivalenzen globaler Wirtschaftsmechanismen anhand aktueller wie historischer Bezüge. Enrico Freitags Malerei greift sowohl die niederländische Tulpenmanie des 17. Jahrhunderts als auch die Auswirkungen der fordistischen Massenproduktion auf Mensch und Tier auf. Das Künstlerinnenduo Threads and Tits präsentiert mit AdiCoin ein subversives Kooperationsprojekt, das in Zusammenarbeit mit The Yes Men und der NGO Clean Clothes Campaign entstand und einen scharfen Kommentar zur systematischen Nichtauszahlung von Löhnen in der globalen Textilindustrie darstellt.
Ruppe Kosseleck verfolgt mit seinem Langzeitprojekt Take over BP die künstlerisch-utopische Übernahme des Energiekonzerns British Petroleum. Das Künstlerduo FAMED zeigt unter anderem die Neonarbeit The Art of the Deal, in der die Begriffe New Deal und No Deal abwechselnd aufleuchten. Sie bezieht sich sowohl historisch auf Roosevelts New Deal der 1930er Jahre in den Vereinigten Staaten als auch auf aktuelle wirtschaftspolitische Strategien. Zugleich persifliert sie die Spielregeln des Kunstsystems selbst. Kate Schultzes fotografische Arbeiten dokumentieren die sozialen Folgen des Brexit im heutigen Vereinigten Königreich. Joachim B. Schulzes Installation aus Ein-Dollarnoten – eine vermeintliche Eigenkapitaldecke – erweist sich als zu kurz, um sich darunter zurückzuziehen: ein Sinnbild für prekäre finanzielle Realitäten.
Jeremy Bailey, der selbsternannte Famous New Media Artist, reflektiert in einer Augmented-Reality-Arbeit augenzwinkernd die menschliche Hybris. Philipp Valenta´s kontextlose Diagramme mit unregelmäßig auf- und absteigenden Kurven, hinterfragen den vermeintlichen Objektivitätsanspruch ökonomischer Daten und entlarvt deren ästhetisierte Beliebigkeit als Teil eines abstrakten Wachstumsnarrativs. Timm Burkhardt´s Arbeiten untersuchen auf unterschiedliche Weise den gesellschaftlichen und symbolischen Wert von Geld. Von ökonomischer Logik und sozialstaatlicher Regulierung über performative Zerstörung mittels Kleingeld zur sinnlich erfahrbaren Absurdität des exponentiellen Wachstums. Benedikt Brauns Installation ist mehr als nur eine witzige Anspielung auf das Wort Cash Cow, welches im Wirtsschaftsjargon für eine besonders profitable Geldquelle steht. Sie hinterfragt zugleich die Rolle des Geldes in unserer Welt und die Art und Weise, wie wir mit ihm umgehen. Hangfeng Chen kombiniert traditionelle chinesische Scherenschnitte mit westlichen Konsumsymbolen und fragt nach der Koexistenz oder dem Widerspruch beider Systeme. Pamela J. Beck untersucht die Auswirkungen eines deutschen Tierseuchenausbruchs auf Fleischpreise in Südkorea – und damit die globale Verflechtung scheinbar lokaler Krisen.
Die Ausstelllung versucht abstrakte ökonomische Begriffe und Zusammenhänge in sinnlich erfahrbare Formen zu übertragen und aufzuzeigen wie tief wirtschaftliche Prozesse in gesellschaftliche, politische und ökologische Zusammenhänge eingebettet sind. Ziel der Ausstellung ist es, ein kritisches Bewusstsein für die vielschichtige Realität globaler Ökonomie zu vermitteln.
Die Ausstellung wurde unterstützt durch die Förderung der Kulturstiftung des Freistaates Thüringen, der Stadt Weimar und der Kulturförderung der SVSparkassenVersicherung. Zwischen dem 10.08. und 18.08.2025 wird die Ausstellung für des Somaphon Festival unterbrochen um im Anschluss vom 20. bis 31.08. für zwei weitere Wochen geöffnet zu sein.
Weimar
05.07.2025 - 31.08.2025
Absolute (dis)advantage / Absoluter (Un)Vorteil
Technical terms from the global economy / Fachbegriffe aus der Weltwirtschaft
Ort EIGENHEIM Weimar, Asbachstraße 1, 99423 Weimar / Eröffnung 05.07.2025 um 19 Uhr / Dauer 05.07. – 31.08.2025 / Programmpunkte 11.07. – 13.07. "Die Kunst der Reparatur" zur summaery der Bauhaus-Universität Weimar / 29.07. – 02.08. "Cringe Festival Vol. 2" mit Konzerten und Performances / 09.08. "Take Over BP" eine Performance von Ruppe Kosseleck / teilnehmende Künstler*ìnnen Jeremy Bailey, Pamela J. Beck, Benedikt Braun, Timm Burkhardt, Hangfeng Chen 陈航峰, FAMED, Frederik Foert, Enrico Freitag, Ruppe Koselleck, Joachim B. Schulze, Kate Schultze, Threads and Tits, Philipp Valenta